Franzl
sagt, dass mit einer neuen Liebe die Schöpfung
neu beginne, und ich rufe: genau, genau das meine ich!
Immer wieder dasselbe! Wo, bitteschön, ist da Entwicklung?
Fortschritt? Wo, frage ich dich, frage ich Franzl, persönliche
Reife? Glaube und Hoffnung? Zukunft? Vom politischen
Aspekt ganz zu schweigen! Und da haben wir die ästhetische
Dimension noch gar nicht berührt! Und die geriatrische
erst recht nicht! Denk an Tante Tina!
Meiner achtzigjährigen Großtante ist das
Kurzzeitgedächtnis abhanden gekommen. Seither schichtet
sie den Packen Urlaubsfotos, den man ihr in die Hand
drückt, wieder und wieder um und bestaunt die Bilder
auch nach dem zehnten Durchlauf. Dem zwanzigsten. Mit
gleichbleibend freundlichem Interesse. Als sähe
sie sie zum ersten Mal.
Franzl fixiert seine Zigarette. Sie ist zu zwei Dritteln
herunter geraucht.
Dann geht sein Blick aus dem Fenster. Die Autos schnurren
vorbei. Fahren, wohin sie wollen.
Und er sitzt hier fest. Er lächelt. Vermutlich
vor Angst. Bestimmt werfe ich wilde Blicke. Medea (oder
Medusa? In der Mythologie war ich nie richtig firm)
wär ihm jetzt gar nicht recht.
Und dann auch noch Locken, Franzl! stöhne ich,
und der Herr am Nebentisch, der uns eben noch über
den Rand seiner Zeitung hinweg vorwurfsvoll angeschaut
hat, als habe er Eintritt bezahlt und also das Recht,
sich über die unverschämt lange Vorstellungspause
zu beklagen, widmet sich mit einem Seufzer der Erleichterung
wieder seiner Lektüre.
Auszug aus der Erzählung "Mufflons"
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